Im Grunde bleibt zu hoffen, dass genau JETZT Yoga nicht ein weiteres “to-Do” auf unserer Liste ist – sondern eine wichtige Stütze, um das “komische Jetzt” zu bewältigen. Wenn wir das alle umsetzen könnten, dann hätten wir Yoga verstanden :-)
Das sag ich jetzt mal ganz platt und ketzerisch.
Momentan fliegt uns allen die Normalität um die Ohren – sie explodiert geradezu ins NICHTS. Routinen sind nicht mehr. Die so wichtigen Rhythmen von uns Menschen können wir nicht mehr einhalten – denn alles ist anders. Dazu kommt, dass irgendwie jeder eine leere, schwere und verunsichernde Angst in sich spürt. Beim einen ist das recht bewusst; bei anderen schwelt es im Unterbewusstsein. Aber vorhanden ist es mE bei uns allen. Denn Fakt ist – irgendwie ändert sich gerade alles und keiner weiß, was morgen gilt.
Was gestern Scheisse war (zB. Yoga online), wird heute in den Himmel gepriesen, denn es ist für viele in meiner Branche die einzige Möglichkeit, irgendwie noch Geld zu verdienen. Ich habe auch überlegt, wie ich Online-Angebote sinnvoll an meine SchülerInnen herantragen kann. Jetzt habe ich mich erstmal gänzlich dagegen entschieden. Einerseits habe ich das Glück, dass ich nicht übermorgen einen Betrag x an meinen Vermieter überweisen muss. Andererseits empfinde ich es nach wie vor so, dass genau jetzt einer der wertvollsten Aspekte des Ashtanga Yoga im Mysore Stil zum Tragen kommt: Wir wissen, was wir praktizieren. Wir brauchen keinen „Vorturner“, der uns einen mehr oder weniger adäquaten Flow präsentiert. Wir haben unseren Asanabaukasten, dem wir vertrauen können. Die Tools stecken in uns – wir müssen nur ein paar Rahmenbedingungen schaffen, dann können wir unsere Practice einfach weiterleben – für einige Zeit ganz ohne Shala und ohne Lehrer.
Wir benötigen ein bisschen Disziplin. Und wir müssen uns uU darauf einlassen, dass die Asanapraxis hier und da anzupassen ist an das aktuelle „komische Jetzt“. Vielleicht stören die Kinder, der Partner, das Haustier… vielleicht finden wir im ersten Moment nur nicht den richtigen Ort im Haus, um die Matte auszurollen, vielleicht, vielleicht, vielleicht…. Es gibt ganz arg viele individuelle Gründe, warum es so schwer sein kann, seine Asana Praxis für sich zu leben. Ganz oft sind es aber Ausreden, die uns daran hindern, auf die Matte zu kommen. Ausreden basierend auf unserem inneren Verlangen und Bedürfnis, Routine, Rhythmus und Normalität als sicheres Netz zu haben. Und das alles fehlt gerade.
Vielleicht fehlt auch ganz arg die Normalität eben ins Shala zu gehen, um Asana zu praktizieren. Vielleicht fehlt die Wärme und Energie der Sangha… vielleicht fehlen einfach die gewohnten Mitschüler. Schlussendlich alles „Gewohnheiten“, die NICHTS mit unserer Praxis an sich zu tun haben.
Erinnert ihr euch an mein „Kasperletheater“, dass ich euch immer bitte, die Matte möglichst wo anders auszurollen.. und nicht immer an die gleiche Stelle im Shala zu streben? Gewohnheiten brechen… sich auf neues, anderes, ungewohntes einlassen!! Das ist der kleine Schritt in die Richtung, in die wir nun gezwungen wurden. Gewohnheiten loslassen.. vieles wenn nicht schier alles ändern. Vielleicht ist mein „Kasperletheater“ gar nicht so unsinnig ;-)
Glaubt mir: ich bin selbst ein Mensch, der im ersten Augenblick schnell die Fassung verliert, wenn die Dinge sich ändern, die Gewohnheiten nicht mehr passen, der Rhythmus plötzlich anders ist. Ich persönlich brauche Routine so sehr, wie der Fisch das Wasser. In der Ayurveda Welt bin ich ein „Vata“-Ungetüm. Fragt mal meinen Mann… oder tut es besser nicht ;-) Die Yoga Praxis hat das für mich aber schon extrem verbessert. Und sie hat für mich vor allem viele Wogen geglättet. Noch vor zehn Jahren musste meine Asana Praxis einfach zwei Stunden gehen – sonst hats nicht gegolten. Als meine Tochter geboren wurde, da wurde mir recht schlagartig und ohne „wenn und aber“ aufgezwungen, dass „jetzt alles anders“ ist. Es ist unfair, mein Kind mit Corona zu vergleichen… aber schlussendlich macht das Corona Virus und seine Ausläufer aktuell genau das mit uns: Es stellt uns nicht mehr vor eine Wahl – es zwingt uns ganz einfach zu bestimmtem Verhalten. Nun können wir toben, lamentieren oder einfach klein beigeben. Oder… wir gehen Schritt für Schritt voran und versuchen mit den uns bekannten und vorhandenen Mitteln eben doch eine Routine im Chaos zu finden. Dazu haben wir Tools wie die Atmung. Die Bewegung. Den bekannten Ablauf. Auch wenn unsere Asanapraxis bspw. erst sehr kurz ist, weil wir ganz am Anfang der Asanapraxis stehen… so haben wir doch einen Baukasten, der uns Halt geben kann. Und wenn wir schon sehr lange auf die Matte kommen und eine entsprechend lange Asanapraxis haben – aber die Umstände gar nicht immer die Zeit für eben diese lange Asanapraxis geben.. dann sollten wir schon so gefestigt sein, dass wir mit Sinn und Verstand jeden Tag prüfen können: Was praktiziere ich heute? Wie praktiziere ich heute? Wofür habe ich Zeit? Was macht Sinn? Was tut gut? Wo kann ich sinnvoll etwas auslassen bzw. abkürzen, weil ich einfach weiß: Mein Kind wacht auf und braucht sein Frühstück, bevor ich es bis Navasana geschafft habe ;-)
Vertraut euch selbst. Habt Mut. Es kommt kein Blitz vom Himmel gefahren, wenn mal was anders ist. Kontrolliert euch selbst – seid ehrlich zu euch selbst. Steckt nicht den Kopf in den Sand. Sondern nutzt das, was bisher vielleicht eher Fitness und Freizeit war, um euch wirklich eine Sicherheit bzw. einen Halt zu geben. Denn aktuell ändert sich irgendwie alles. Aber auf der Matte ist prinzipiell für uns Ashtangis alles gleich:
Ekam, Dve, Trini….
Und macht Gebraucht davon, mir zu schreiben. Kleine Fragen zu stellen. Oder einfach Beobachtungen mitzuteilen. Vielleicht fehlt ja „nur“ mein strenger Blick. Dann wurschteln wir uns eben anders durch. Aber doch gemeinsam :-D