Seit einiger Zeit nutze ich im Mysore Unterricht das „Kartensystem“.
Neben jeder Matte liegt ein Kärtchen.
Ist die Karte zugedeckt, weiss ich, dass der SchülerIn aktuell nur für verbales Feedback offen ist, eigentlich aber für sich bleiben möchte.
Ist die Karte mit dem Text nach oben aufgedeckt, weiss ich, dass verbales, haptisches, optisches… jegliches Feedback willkommen ist und vor allem auch Berührungen im Rahmen des Unterrichtens ok sind.
Warum tue ich das? Aus verschiedenen Gründen.
Wir leben in einer Zeit, in der viele Menschen nicht mehr so gerne Verantwortung übernehmen und sich vielfach – vor allem in ihrer Freizeit – berieseln lassen wollen und einfach mittreiben möchten. Wir sind stets gestresst und wollen einfach mal „nix mehr tun“. Meiner Auffassung nach funktioniert (Ashtanga) Yoga genau so nicht. Es ist kein Unterhaltungsprogramm, kein Sport und der Lehrer nicht der Pausenclown. Es geht um „Arbeit an und mit sich selbst“. Dieser spirituelle und ganz individuelle Weg bedarf Selbstreflexion, -wahrnehmung sowie Eigenverantwortung. Wir müssen wirklich bei uns sein. Mit den Kärtchen erhoffe ich mir, dass sich jeder noch mehr dazu veranlasst fühlt, einfach „in sich rein zu hören“ und wirklich zu spüren: Wo stehe ich denn heute? Jetzt? Wie läuft es denn gerade? Bin ich WIRKLICH HIER? Bin ich überhaupt bereit dafür, dass ich mit meinem Lehrer in einen Dialog gehe, der mich fördert – aber auch fordert? Oder bin ich mir im Moment „selbst genug“?
Jeder wird also dazu veranlasst aber auch befähigt, noch mehr im „JETZT“ zu sein und dieses mit all seinen Facetten genauer wahrzunehmen.
Ein weiterer Grund für die Karten ist die traurige Tatsache, dass wir mehr denn je in einer Zeit des Traumas, der Verletzungen, von Ängsten, Berührungsängsten und Dilemmas leben. Dies sage ich nicht negativ wertend oder herablassend. Sondern es ist ein erschreckender Fakt! Aus den verschiedensten Gründen haben Menschen Schwierigkeiten mit Nähe, mit Berührung, mit Vertrauen. Umso wichtiger ist es, dass diese Menschen sich genauso trauen, in eine Yogaklasse zu gehen, wo sie von gegenseitiger Nähe, Energie und Wärme positiv Nutzen ziehen können – Bewegung und Fokus sind da vielfach netter Nebeneffekt. Um zu persönlichem Nachfragen und/oder unangenehmer Erklärungsnot aus dem Moment heraus vorzubeugen, gibt es diese Kärtchen. Denn damit kann jeder klar ein Signal setzen, dass er nicht begründen muss – sondern mit dem er einfach „sein darf“.
Schlussendlich geben die Kärtchen jedem die Möglichkeit, ganz für sich noch einmal eine ganz andere Erfahrung mit seiner Asana Praxis zu machen und sich wirklich in jedem einzelnen Moment zu fragen: Wie geht’s mir denn gerade? Wo bin ich denn gerade? Was brauch ich denn gerade. Und dadurch können wir uns ganz selbstverantwortet öffnen, schützen, schliessen, für uns bleiben oder „auf machen“. Jeder, wie er es in dem ganz speziellen Moment braucht :-)